Das Dornröschen unter den griechischen Inseln

Vier Stunden am Tag beherrschen Tagesausflügler Symi. Sonst ist es dort still

Karte SymiVom "Farbenrausch auf Steinen" hatte George Kalodoukas am Telefon gesprochen. Von einer Insel, die immer noch das "Dornröschen" unter den griechischen Inseln sei. Felsig, unfruchtbar und etwas verschlafen sei sie. Aber traumhaft schön. Die Nymphe Syme habe dem Eiland ihren Namen vermacht, zitiert der Manager des örtlichen Tourismusbüros die griechische Sage. Und Meeresgott Poseidon schenkte Symi das schönste und lieblichste Gesicht aller Dodekanes-Inseln. Aber wo?

Die Fähren von der drei Stunden entfernten großen Schwester Rhodos tuckern entlang an zerklüfteten abweisenden Bergen. Fast überall nackt und ohne Grün ragt die Insel zwischen den Steingirlanden der kleinasiatischen Küste aus dem Meer. Wo die Berge plötzlich flacher werden, hat das Wasser eine tiefe Bucht in den Fels geschleckt. Welch ein Kontrast! An den Ufern erhebt sich majestätisch der Hafen von Symi. Neoklassizistische Häuser klettern an dem offenen Bergoval farbig und leuchtend hinauf bis zum Kastro. Eine Ansicht, zum Halsverrenken schön. Die Schiffssirenen kündigen die Ankunft der Tagestouristen an. Gastronomie und Shops machen mobil fürs große Geschäft.

Gegen 16 Uhr verlassen die Schiffe wieder die Insel. Wenn am Nachmittag betriebsame Hektik gelassener Beschaulichkeit weicht, ist Zeit für einen Ouzo. Dann lehnt sich der Wirt auf der schattigen Terrasse der Taverne "Caterinettes" zufrieden im Stuhl zurück und schenkt sich ein Gläschen ein. Fast 50 Gäste seien bei ihm eingekehrt. Für heute sei das genug. Massentourismus hat auf Symi nur vier Stunden am Tag Saison.

Während die Ausflügler auf dem Schiffsdeck den bunten Inselhafen für einen letzten Schnappschuss ins Visier nehmen, besetzen Katzen die frei gewordenen Sonnenplätze am Kai. Costas schließt seinen Stand mit Badeschwämmen und montiert vergilbte Schautafeln ab, die vom gefährlichen Tagewerk der Schwammtaucher berichten, deren Zentrum die Insel bis vor 90 Jahren war. Symioten schätzen ihre Gäste, wenn sie kommen und wiederkommen, erklärt Costas, der sich für den Rest des Tages um die Netze seines Fischerbootes kümmern wird. Vor allem aber seien sie stolz auf ihre Insel, die bis heute ein Stück Griechenland für Griechen geblieben sei.

Das schickste Restaurant der Insel gehört jedoch einem Galeristen aus Frankfurt. Eine Urlaubslaune ließ Hans Sworowski nach Symi kommen. Mit seiner Frau ließ er eine ehemalige Mühle und Schreinerwerkstatt zum Restaurant "Mylopetra" (Mühlenstein) umbauen. Bei den Bauarbeiten fanden Arbeiter sieben Gräber. Wahrscheinlich von Wikingern, vermutet Sworowski. Dann zeigt er in dem stilvoll renovierten Haus auf grün schimmernde Glasdeckel im Restaurantboden, unter denen zwei erleuchtete Schachtgräber zu sehen sind.

Originalität ganz anderer Art erwartet den Fremden im oberen Teil der Stadt. Das Chorió ist mit pastellfarbenen Villen, Tavernen und der lebensfrohen Atmosphäre immer noch ein von touristischem Massenrummel verschontes Fleckchen. Vom "Platz der Treppen" führen 357 Stufen in die Altstadt hinauf. Links und rechts der "Yali Strata" (Gute Straße) stehen herausgeputzte Herrenhäuser. Einige sind zu verkaufen, andere zu vermieten, erklärt George bei einem Altstadtbummel. Und der Preis? Der Touristikexperte lächelt verschmitzt. "Kaufpreis rund 200 000 Mark, die Miete kostet pro Tag zwischen 65 und 210 Mark." Unter Freunden versteht sich.

Würfelförmig, schneeweiß, ocker oder blau, groß oder klein sind die Bürgerhäuser oft zwei- oder dreigeschossig gebaut, weil der Platz um die schützende Festung herum beschränkt war. Geöffnete, kunstvoll verzierte Türen geben den Blick frei auf mediterran eingerichtete Zimmer mit dezenten Wandmalereien. Zwischen Hausfassaden und Zypressen lugen immer wieder Silberstreifen des glitzernden Meeres und die Schiffe im Hafen hervor. Im Herzen des Chorió endet die Treppe in einem breiten Pflaster. Ein Netzwerk von steilen Gässchen windet sich bis zum Kastro. Die gewaltigen Mauern, die unterschiedliche Technik der Baustile, Reliefs und Wappen erzählen Geschichten aus der Geschichte. 400 Jahre lang hatte sich Symi den Türken unterworfen, bis 1912 nach dem türkisch-italienischen Krieg Italien den Dodekanes übernahm. Erst seit 1948 gehört Symi wieder zum griechischen Hoheitsgebiet.

Manche Gassen am Fuße der Festung sind still und längst verlassen, andere so schmal, dass Menschen zwischen den Häuserwänden nur hintereinander laufen können. Dann wieder öffnet sich hinter einer Mauer plötzlich ein schattiger Hof mit üppiger Pflanzenpracht und verschwenderisch blühenden Blumen. Vor Kafenions und in Tavernen lassen schnauzbärtige Männer die Würfel rollen, während schwarz gekleidete Frauen schwatzend vor ihren Häusern sitzen. Aus irgendeinem Lautsprecher tönt griechische Volksmusik. Manchmal werden Klischees wahr.

Gegenüber der Altstadt liegt am anderen Ufer Gialós. Bei der Hafeneinfahrt vor dem alten Uhrturm, dem Wahrzeichen von Symi, startet Eftimios seinen grünen Inselbus. Nein, zur weißen Evangelistria-Kirche mit der knallroten Kuppel fahre er nicht. Das Architekturjuwel auf dem Gialós-Hügel sei nur zu Fuß erreichbar. Jetzt zur Mittagszeit, bei dieser Hitze? Programmwechsel. Der Oldtimer verlässt Symi-Stadt und fährt auf einer der wenigen befestigten Straßen vorbei an Eukalyptus- und Olivenbäumen zum Badeort Pédi. Grün wie eine Wiese ruht das Meer und schickt im immer gleichem Rhythmus schmatzende Wellen an den schmalen Sandstrand. Ein paar Restaurants und Wassertaxis, die Kurs auf benachbarte Ministrände nehmen, bringen etwas Leben in diese Sommerfrische der Symioten.

Auf dem Rückweg lohnt sich ein Stopp bei den abgetakelten Mühlen vor der Altstadt. Keine Kletterkünste, nur etwas Ausdauer ist erforderlich, um auf steinigen Pfaden den Hügelrücken weiter emporzusteigen. Hoch oben, wo Schafsböcke neugierig die Eindringlinge beäugen, öffnet sich ein imposantes Panorama. Zwischen Felsbrocken und Gestrüpp liegen die Reste eines antiken Monuments. Das Grundstück hat Hans Sworowski gekauft. "Vielleicht ist es ein Königsgrab", hofft er. "Man weiß ja nie."

Wer die Insel weiter erkunden will, muss die Wanderstiefel schnüren oder George Kalodoukas fragen. Weil Privatautos auf Symi verboten sind, organisiert der Verkehrsdirektor Trucktouren. Über kurvenreiche Geröllpisten schaukelt der Pickup zu Kirchen und Klöstern. Im Schatten einer uralten Schirm-Zypresse steht das wie ein Wüsten-Ford ummauerte Kloster Roukouniótis. Seine finsteren Gewölbe zieren volkstümliche Malereien und 500 Jahr alte Fresken. Viehzüchter verwalten den heiligen Ort in der Einsamkeit der Berge. Das größere und idyllisch in einer Bucht gelegene Kloster Panormitís beherbergt als kostbarstetes Stück eine Ikone des Erzengels Michael. Weil der Heilige gegen eine Entlohnung Gebete erhören soll, ist die Pilgerstätte mit einem Museum der Opfergaben von Tagestouristen überlaufen.

Intensiver und eindringlicher ist eine Fahrt mit Meerblick auf dem offenen Truck durch die steinerne wilde Märchenwelt dieses südlichsten griechischen Archipels. Rot, blau, violett schimmern Felsmassive am weiten Horizont. Ein warmer Abendwind bläst kräftig durch das Haar, als das Auto einen Hang hinaufschnauft. George stoppt das Fahrzeug. Gerade will die Sonne im Meer versinken. Es sieht aus, als ob der Himmel Rotwein trinkt.