30 Jahre unter Türken und Mongolen, die mittelalterliche Odysse des Johann Schiltberger aus Freising
Last update: Donnerstag, 18. Juli 2002, 06:54 Uhr
1396 wollte der ungarische König und spätere römisch-deutsche Kaiser Sigismund mit einem der letzten Kreuzzüge Konstantinopel aus dem Würgegriff der Türken befreien. Doch bei der bulgarischen Stadt Nikopolis fügte Sultan Bayazid I. den Kreuzfahrern eine vernichtende Niederlage zu, und Tausende von abendländischen Herren, Rittern und Knechten gerieten in türkische Gefangenschaft. Darunter auch der damals erst l6jährige Hans Schiltberger aus Freising. Die meisten wurden von den Siegern einfach hingerichtet. Nur die Jugendlichen durften am Leben bleiben und wurden unter den Türken als le-bende Kriegsbeute aufgeteilt. Damit begann für Schiltberger eine 30jährige Odyssee durch weite Teile Vorder- und Zentralasiens. Erst 1427 kehrte er nach Hause zurück, wo er ein Buch über seine Erlebnisse im Orient schrieb.
Heute ist dieses Buch weitgehend in Vergessenheit geraten. Aber im ausgehenden Mittelalter war es ein regelrechter "Bestseller". Kein Wunder: In einer Zeit, als die meisten Menschen nicht einmal aus ihrem Heimatort herauskamen, bestand natürlich ein besonderes Interesse an der Kunde von fremden Ländern, Völkern und Kulturen. Und so wurden alle Reiseberichte gierig verschlungen. Das bekannteste Beispiel dafür ist sicher der des Venezianers Marco Polo.
Was Hans Schiltberger von seinen "Reisekollegen" allerdings ganz wesentlich unterschied, war, daß diese meist in irgendeiner wichtigen Mission unterwegs waren. Deshalb hatten sie in der Fremde Zugang zu den Mächtigen, und das ermöglichte es ihnen, über alles gewissermaßen von einer höheren Warte aus zu berichten. Schiltberger wurde dagegen als Gefangener und Sklave in den für damalige Begriffe unendlichen Weiten des Orients wahllos hin- und her getrieben. Seine Gesellschaft bestand lediglich aus bedauernswerten Leidensgenossen und einfachen Soldaten. Deshalb konnte er sich nie einen vollständigen Überblick verschaffen, sondern seine Erlebnisse immer nur aus der beschränkten Sicht eines Mannes schildern, der ständig einem fremden Willen unterworfen war. Aber gerade das macht den besonderen Reiz seines Buches aus. Denn es stellt ein einzigartiges Zeugnis für das bittere Los dar, das die ungezählten mittelalterlichen Kriegsgefangenen aus dem Abendland im Orient erwartete.
Schiltberger kam nach der Schlacht bei Nikopolis zufällig zu den Gefangenen, die Bayazid I. selbst behielt. So mußte er als dessen Sklave sechs Jahre lang an den zahllosen Kriegen teilnehmen, die der Sultan führte, um das damals noch junge Osmanische Reich der Türken zu ver-größern. Bayazid war ein grausamer Kriegsherr.
Darum wurde Schiltberger immer wieder Augenzeuge, wie unzählige Menschen in den eroberten Gebieten barbarisch niedergemetzelt wurden. 1402 wurde Bayazid schließlich von Tamerlan bei Ankara besiegt, woraufhin Schiltberger in dessen Besitz überging. An seiner Lage änderte sich dadurch freilich nichts, außer daß er nun auf mongolischer Seite an allen möglichen Kriegszügen teilnehmen mußte, wobei sich Tamerlan als noch grausa-merer Despot erwies als Bayazid. Und nach dem Tod des berüchtigten Eroberers wechselte der Freisinger noch mehrfach den Besitzer, ehe ihm nach dreißigjähriger Ge-fangenschaft schließlich doch noch die Flucht gelang.
Während dieser langen Zeit lernte Schiltberger Griechenland, Bulgarien und die Türkei kennen. Er kam durch Syrien, Palästina, Ägypten und Persien; durch Mesopotamien, Armenien, Astrachan und Georgien; ja, sogar ein gutes Stück nach Indien hinein und bis an den Rand Sibiriens. Und wann immer ihm das Kriegsgeschäft Zeit dafür ließ, sah er sich wißbegierig und oft staunend wie ein Kind in der märchenhaften Welt von 1001 Nacht um, in die er vom Schicksal verschlagen worden war. So wird in seinem Bericht auch für uns die Welt des mittelalterlichen Morgenlandes wieder lebendig. Wir erfahren vom rastlosen Wanderleben der Nomaden, von sibirischen Hundeschlittengespannen und indischen Kriegselefanten. Wir lesen von Seidenraupenzucht, Dattelpalmen- und Pfefferanbau. Von gewaltigen Schätzen oder reichen Edelsteinvorkommen. Und natürlich auch immer wieder von den Sitten und Religionen fremder Völker. Alle Nichtchristen, also vor allem die Mohammedaner, aber auch die Buddhisten oder die Anhänger des persischen Religions-stifters Zarathustra, bezeichnete Schiltberger als Heiden. Aber er verachtete sie nicht, sondern schilderte ihre Lehren und Riten grundsätzlich vorurteilsfrei und sachlich.
Der ständige Umgang mit Menschen aus anderen Kulturkreisen hat ihn fremden Anschauungen gegenüber wohl sehr tolerant werden lassen. In einer Zeit, in der die meisten Abendländer das Töten von Andersgläubigen oder Ketzern als gottgefälliges Werk betrachteten, war das keineswegs alltäglich. Andererseits zeigte sich der Freisinger aber auch oft selbst als typisch mittelalterlicher Mensch:
In einer anderen Hinsicht war Schiltberger jedoch völlig zeitlos: als Leidensgenosse der Unzähligen, die aufgrund herrscherlicher Willkür wie Vieh über die "Beuteweiden" der Macht getrieben wurden - und leider immer noch werden.
Literaturhinweis:
[Google] [Altavista] [Euroseek] [Allesklar.de] [Yahoo] [DINO] [Web.de] [Lycos] [Fireball] [Crawler.de] [Aladin] [Belnet] [Netguide] [Hotbot] Page by Peter O.Walter, SY ESYS Kontakt URL of this Page is: http://www.esys.org/freising.de/schiltbg.html |