EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Gorch Fock:
Reisebilder im Streiflicht


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"Weiß ist das Schiff das wir lieben..." [Refrain des Gorch Fock Liedes]
Bericht von Jan Janssen

Es ist beängstigend. Manchmal werden Menschen geboren, denen seherische Fähigkeiten nachgesagt werden. Ich zum Beispiel weiß von einem kleinen Jungen, drei Jahre alt und ungefähr 99 Zentimeter hoch, als er es das ersten Mal äußerte, der hat behauptet, er werde einst auf der Gorch Fock fahren. Das ist schwarz auf weiß festgehalten. Alle die ihn zu jenem Zeitpunkt überragten, nickten mitleidig, belächelten ihn und maßen alldem keine Bedeutung zu.

Jezt, gut zwanzig Jahre, 70 Kilogramm und 1 Meter später bin ich Offizier der Deutschen Bundesmarine und blicke zurück auf jene Tage, da ich meine Rolle auf der Gorch Fock hatte. (Seherische Fähigkeiten nehme ich deshalb nicht für mich in Anspruch, es war einfach eine gelungene Kombination aus Glück und Verbissenheit.)

Am fünften Jannuar 1994 begann die Segelvorausbildung zur 97. AuslandsAusbildungsReise der Gorch Fock.

"An Bord" meldeten sich zu diesem Termin rund 80 Offizieranwärter der Marine, darunter so seltene Exemplare wie fünf Araber, zwei Thailänder (OffizierAustauschProgramm), dreizehn Frauen und meine Wenigkeit, die sich alle eher oberflächlich aus der Grundausbildung an der MarineSchule Mürwik in Flensburg kannten.

Schon zu diesem Zeitpunkt, dem Betreten der Stelling war das Schicksal vieler besiegelt. Die einen verloren angesichts ihrer plötzlichen Liebe zu der Windjammer sämtliche Sensibilität gegen die Unbilden, die noch folgen sollten. Die anderen verspielten jede Schonung, indem sie die Gösch (Nationalitätsflagge am Bug) anstatt der Seeflagge (am Heck und soo groooß, daß man sie nur mit Mühe übersieht) grüßten. Dumm gelaufen. Sie waren oft genug gewarnt worden.

Direkt im Anschluß folgte die erste Musterung auf dem Mitteldeck der Fock, die Füße endlich auf dem sagenumwobenen Teak, die Masten majestätisch aufragend, die, wie wir sehr bald lernten, fürchtenswerte Stimme des Bootsmannes im Ohr.

Unter dem grauen Himmel Kiels, festvertäut an der Blücherbrücke, fand also die Einteilung der Wachen und "Reinschiff Stationen" statt. Diese Einteilung sollte unser Leben in den nächsten Monaten bestimmen, mehr noch als Wind und Wetter, fast so sehr wie die Wellen, die Tag für Tag am Rumpf entlang rollten oder sich auf dem Mitteldeck brachen.

Die Wache, der ich zugeteilt war, nannte sich "Löwenwache", die hochgelobte Backbord II, dort die 6. Korporalschaft.
"Kammerkätzchen" ist der Begriff, der für diejenigen geprägt wurde, die im Hüttendeck für Sauberkeit sorgen, dem Quartier de Offiziere. Immer, wenn dieser Begriff genannt wird, schwingen Neid und ein wenig Bedauern mit, da die Kammerkätzchen nicht in Sonne und Regen das Mitteldeck schrubben oder singend den Abort reinigen.

Ich für meinen Teil war solch ein Kammerkätzchen. Wenn anderen die frische Seeluft um die Nase ging inhalierte ich nur den Geruch von Brasso (TM), denn gerade beim Kommandanten, Kap´tän Hering, hatte jedes Bullauge ständig zu glänzen. Ich kenne jeden Winkel jeder Auszeichnung, die die Gorch Fock je erhalten hat. Glauben Sie mir.

Zuvor erwähntes Brasso kam nicht nur bei mir zum Einsatz. Nach Kartoffeln (Potacken), war es das wahtscheinlich meißt verbrauchte Gut an Bord, da der Glanz der Fock, dem Botschafter in weiß und Messing (sehr viel Messing) nie Verblassen durfte.

All das beschriebene wußten wir natürlich noch nicht, als wir zu jener ersten Musterung unserer seemännischen Grundausbildung angetreten waren und die Einteilungen liefen.

Direkt im Anschluß an die Einteilungen, mir persönlich fiel die Zwei Vorobermars Backbordseite zu (Im Vortop die zweite Position von außen auf der Backbordseite der Obermarsrah), wurden uns dann die Schlafstätten zugewiesen.

Entsprechend der Wacheinteilung führte man die BbII unter Deck. Backbords und etwas achterlicher als die BbI befindet sich ein leerer Raum, ungefähr fünf mal sieben Meter groß. Er gleicht prinzipiell drei anderen Räumen, in denen meine Kameraden untergebracht waren.

Auf dunklen Hozbohlen brach sich spärliches Licht, daß durch einige Bullaugen einfiel. Die Düsternis war nur aufgelockert durch Metallspinde an den beiden Stirnseiten, immer einer in voller Höhe neben zwei halb so großen. Das Summen der Ventilatoren untermalte die erstaunten Blicke derjenigen, die ihre Unterkunft für die nächsten Monate vor sich sahen.

In der Mitte des Raumes lagen, aufgeschichtet wie ein Scheiterhaufen, rauchig rote Stoffrollen, nummeriert und circa 1,8 Meter lang. Oft war uns erzält worden, man nächtige in Hängmatten, sofern man überhaupt dazu kam. Die einen blickten dem Abenteuer mit Freude entgegen, die anderen glaubten es nicht einmal, doch angesichts der stofflichen Realität der Matten fragten sich die einen wie die anderen, ob sich so etwas Nacht um Nacht ertragen ließe.

Eingewiesen in die sanitären Anlagen, Sicherheitseinrichtungen und grundlegende Verfahrensweisen des Bordlebens neigte sich der erste Tag dem Abend. Vom Stapel der Hängematten, die über tags in der Hängemattenlast lagerten, Griff sich jeder diejenige, deren Nummer ihm zugewiesen war. Ketten wurden durch die Decks gespannt, die Matten wurden gezurrt.

Es stellte sich ziemlich bald heraus, daß eine Matte, sicher geknotet und bretthart gespannt, durchaus genügend Komfort verspricht, vor allem, wenn man ihn nur im Schnitt vier Stunden in jeder Nacht auf See genießen kann.

Aufgeregt von dem was war, von dem, das noch kommen sollte, schliefen wir in jenen Hängematten ein, zwischen den Altgefahrenen der Gorch Fock, die die Wachen auffüllten und an all das gewöhnt waren. Die Lüftung summte uns ihr Schlaflied, untermalt vom sanften, mitleidigen Wispern und Plätschern der Wellen am Rumpf.

Am frühen nächstn Morgen, es war nicht nur von der Warte des Studenten aus früh, weckte uns ein leises, zwitscherndes Flöten, das sich langsam aber unaufhaltsam in ein vielstimmiges Creschendo mehrerer Bootsmannsmaatenpfeifen steigerte. Nach wenigen Sekunden hallten die Decks von schrillenden, sich überschlagenden Tönen wieder, in den kurzen, wohlverdienten Schallpausen schmetterten die Korporäle ihr "RREISE, RRREISE, AUFSTEH´N!".

Dieser Ruf sollte uns von nun an allmorgentlich begrüßen.

Fünf Minuten Zeit bleiben, um nach dem ersten Weckruf zur Hängemattenmusterung angetreten zu sein. Schlaftrunken muß die Kleidung zusammen gewühlt werden, die Hängematte gezurrt und in Divisionen, den Wachen, geordnet, auf dem Oberdeck angetreten zu sein. Die Hängematte ist nicht nur eine recht bequeme Schlafunterlage, sie dient auch als Rettungsmittel. Das gewachste Tuch der Matte ist wasserdicht. Straff gerollt, gezurrt, schließt dieses Tuch nicht nur die spartanische Matratze ein sondern auch ein gerüttelt Maß an Luft. Nicht umsonst wird die Matte bezeichnet als Hängematte, Bw einfach, bedingt schwimmfähig. Eine gut gezurrte Hängematte garantiert unter Umständen bei Havarie das Überleben.

All das ließ mich verständlicher Weise recht kalt als wir, am ersten Tag natürlich mit unzureichend gezurrten Matten, die Niedergänge hoch stolperten und auf dem von Nieselregen glitschigen Deck auf den Großmast zuschlitterten.

Die Gegenständlichkeit des Mastes bremste unsere Geschwindigkeit und unseren Enthusiasmus, die Stimmen der Korporäle taten ihr Übriges. In jenem Augenblick bekamen wir einen Vorgeschmack auf die Lautstärke, die ab dann herrschen sollte. Heute habe ich Hornhaut auf den Trommelfellen.


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