"Die reitenden Helden vom festen Land
Haben gar viel zu bedeuten;
Doch stünd es ganz in meiner Hand,
Ein Meerpferd möcht ich reiten"
[Johann Wolfgang von Goethe]
Auslaufen Kiel
Der Horizont ist nah und der Himmel erscheint eng, wenn ich aus meinem Fenster schaue, hunderte von Kilometern entfernt von jedem Meer. Um so lieber gedenke ich jener Zeit, als ich mit der Gorch Fock in See gehen durfte und unsere einzige Begleiter der Wind und die Wellen waren ...
Der Tag begann, wie alle anderen auch, ausgesprochen
früh und laut, viele waren noch müder als sonst zu dieser Uhrzeit,
sei es, weil sie zu nervös gewesen waren um einzuschlafen, oder wiel
sie noch Abschied gefeiert hatten vom heimatlichen Festland.
Letzteres Los hatte auch ich zu tragen.
Nachdem die beiden Tage vor Auslaufen geprägt
waren durch die Proviantübernahme, bei der gut 35 Tonnen aller möglichen
Güter von Hand zu Hand auf der Fock gestaut worden waren, darunter
allein rund 20 Hektoliter Bier und 500.000 Zigaretten, schleuderten sich
mein Wachkamerad und guter Freund Richard und ich an Land, dierekt in die
Arme dreier Ausbildungsoffiziere unserer Grundausbildung, mit denen ich
die Ehre und das Vergnügen hatte, viele Male zu segeln (unter anderem
"SMARAGD MEETS ALSEN/Rund Alsen 20.08.93 - 23.08.93").
Die drei führten uns nicht nur ein in die guten
und anstrengenden Gepflogenheiten des dekadenten Landganges ein, sie gaben
uns auch die Möglichkeit zu erfahren, was es bedeutet, fünf Minuten
vor Landgangsschluß, der auf Mitternacht datiert war, nicht mehr
genau zu wissen, wie der eigene Name lautet. Und sich trotzdem darauf verlassen
zu können, daß die Verursacher dafür sorgen, daß
die Deadline auf die Minute eingehalten wird.
Der Morgen des Auslaufens war also gezeichnet von
Geschäftigkeit und einen Kater, der die Bootsmannsmaatenpfeife um
ein vielfaches verstärkt in meinem Schädel wiederhallen ließ.
Schnell wurde mir klar, daß keine Zeit war,
meinen Kater zu pflegen, auch wenn er mit dem Ritschies bereits Freundschaft
geschlossen hatte. Vielmehr stand der Vormittag unter dem Zeichen der Reinschiffes
und des Seeklarmachens der Gorch Fock.
Schon ab acht Uhr begann die Blücherbrücke
sich mit Schaulustigen zu füllen, die ersten Angehörigen der
Besatzung kamen auch an.
Selbst der Hartgesottenste unter den Mitsegelnden
fühlte sich an diesem Vormittag einsam unter all den Menschen. Nur
wenige Meter trennten unss von unserer Jugend, unserem Elternhaus, doch
diese Meter waren eine uinüberwindliche, wenn auch selbst gewählte
Distanz. All das Neue, all die Abenteuer, die wir uns ausgemahlt hatten,
die uns erwarteten, brachen über uns zusammen, die Musik des Marine
Musikcorps, die Stimmen der Reporter, die Ansprache der Landtagspräsidentin
waren nur ein Hintergrundgeräusch in der dumpfen Leere in unserem
Inneren.
Eine Stunde vor Ablegen hatten wir Gelegenheit, unseren
Angehörigen das Schiff zu zeigen.
Nachdem meine Mutter, die in Begleitung meiner Tante
zugegen war, mich identifiziert hatte - meine Haarlänge war, praktischer
Weise, auf drei Millimeter gekürzt worden - zeigte ich ihr das Oberdeck
und unsere Quartiere. Erst in diesem Moment und an den Augen der Besucher
fiel mir, genauso wie vielen anderen, auf wie beengt und ungemach die Gegebenheiten
erschienen, dan die wir uns schon gewöhnt hatten.
Viel zu schnell verging die anberaumte Stunde. Alle,
deren Schiksal nicht gen See wies, verließen die Fock.
Unter dem Rufen, unter dem Schweigen der Zuschauer
und zu den Klängen des Musikcorps wurde die Auslaufmusterung ausgepfiffen,
wir traten an. Ein Angehöriger der Segelcrew führte ein kleines
Transistorradio mit sich, eingestellt auf RSH. Als aus diesem Radio die
Klänge von Rod Stuards "I am sailing" erklangen, fast zu leise, als
das man sie hören könnte, flüsterte er uns zu "Jetzt geht
das endgültig los."
Als ob er die Worte vernommen hätte, signalisierte
Kaptän Hering seinem Segeloffizier, dieser den Divisionen.
Die Leinen waren gelöst, nichts verband uns mehr
mit dem Festland.
Das nun schon bekannte "Enter Auf! Leg Aus!" erklang,
wie so oft geübt erkletterten wir die Wanten und verteilten uns auf
die Rahen.
Der Wind verhinderte zwar ein Auslaufen unter Segeln,
trotzdem standen wir, jeder einzelne so stolz wie die Jammer selbst, in
den Rahen und entboten Kiel und allen, die dort versammelt waren, allen,
die Rod Stuard hörten unser Gruß und ein dreifaches "Hurra".
So stachen wir in See. Wer zurückblickte, sah
Tränen in den Augen derjenigen, die zurückblieben, sofern er
selbst noch scharf sah.
Jan Janssen
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