"Herr Steuermann, ach Steuermann,
Mein Herz ist gar so schwer.
So bind ein gut Stück Eisen dran
Und wirf es über Bord ins Meer"
[Joachim Ringelnatz, Kuttel-Daddeldu: Matrosensang.
(Zitiert in Erinnerung an SiPo an der MSM und GLIEB)
In See: Durch die Deutsche Bucht
Bald ließen wir das Kattegatt hinter uns, majestätischer
als ich es mir jemals ausgemalt hatte.
Retrospektiv scheint mir der Vergleich zwischen der
Windjammer, der mein Herz gehört, wie ihr damals mein Körper
gehörte, und einem monarchischem Herrscher um so treffender, als sich
sein Glanz auf dem Schweiß der Mannschaften begründet, seine
Glorie auf dem Geschick der Offiziere.
Eine Routine, die wir nie für möglich gehalten
hätten, stellte sich schon nach wenigen Tagen ein.
Wie das Staatsschiff in der politischen Briese mußte
auch der Kurs der Fock jeder Laune des Windes tribut zollen, mit ihr wir.
Unsere Hände, die wir zum Auslaufen für gestählt gehalten
hatten, wurden an den vom einsetzenden Regen feuchten Brassen wundgescheuert, unsere Köpfe wurden schwer von Müdigkeit.
Von Zeit zu Zeit schien es mir, als wollten mich die
fröhlich plätschernden Wogen, die der Bug der Fock durchschnitt,
verhöhnen.
In diesen ersten Tagen unserer Seefahrt auf dem Großsegler
war mir die Diskrepanz zwischen meinem gewählten und dem geraden Weg
wohl am deutlichsten. Wie vielen anderen schwebte es mir damals, wie heute
noch, vor, mein Leben in Ruhe und Fülle an Wissen und Muße zu
verbringen. Jetzt stand ich auf Zuruf am Tau und riß daran, bis meine
Hände brannten und meine Arme zu versagen drohten, ohne mir über
die Funktionsweise der angewandten Mechanik Gedanken zu machen.
Nicht, daß diese mechanischen Prizipien, wie
auch ein Gutteil des grundlegenden seemännischen Wissens, an uns vorbeigegangen
wären. Jede Minute unseres Dienstes, die nicht mit Segelwache oder
Reinschiff erfüllt war, verbrachten wir in Unterrichten über
Schiffspflege, -Mechanik, -Führung, mit Wetterkunde und Knotenlehre.
Nicht selten geschah es in diesen Unterrichten, daß
die Müdigkeit dann größer wurde, als die Kraft, die Augen
offen zu halten. Ich habe nie erlebt, daß sämtliche Eleven der
Seefahrerkunst im Unterricht einschliefen. Ich war aber auch meistens einer
der ersten.
Unterbrochen wurden die Stunden nur für Segelmanöver,
bei denen alle Mann erforderlich waren, weshalb man hoffte, daß sämtliche
nötigen, sowie jenen, die zusätzlich stattfanden, in der eigenen
Wache abgehalten wurden.
Segelwache bedeutete, am Anfang noch mehr als zum
Ende hin, rund vier Stunden höchster körperlicher Belastung in
unregelmäßigen Intervallen.
Es war der Segelwache nicht erlaubt, das Oberdeck
zu verlassen, zu essen, zu schlafen, zu lesen.
Das ließ eigentlich nur zwei Alternativen: die
Unterhaltung und das Rauchen, und natürlich eine Kombination aus beidem.
Für Nichtraucher, wie ich anfänglich einer war, zeigte sich die
Auswahl noch eingeschränkter, ich erweiterte meine Optionsliste aber
bald, was angesichts steuerfreier Zigaretten nicht schwer fiel.
Scon bald fanden sich angesichts dieser Prämissen
kleine Runden zusammen, die Interessen teilten, über die sich zu unterhalten nicht langweilig erschien. Zwar erschöpften sich die meisten Themen schon nach knapp einer Woche, sie wurden einfach zerredet, die Gruppen blieben aber die gleichen, eine angenehme Atmosphäre entspann sich, hatte man es doch in keinem Gespräch eilig und konnte Stunden investieren, mit Menschen zu sprechen, die man in seiner alltäglichen Arroganz für zu unwichtig hielt unt Themen diskutieren, die man sonst als Zeitverschwendung angesehen hätte.
Diese Phasen geistiger Wanderschaft wurden allzu häufig
unterbrochen.
Heute, schon damals, ware mir die rationale Seite
dieser Unterbrechungen bewußt und verständlich, ich verteidigte
sie sogar. Doch wer, der selbst die Situaton kennt, wird mir vorwerfen,
daß ich zu jener Zeit auf der Segelwache fluchte, als Manöver
zur Übung gefahren wurden, sei es "Mann über Bord""Erster Kutter
klar" oder "Obersegel bergen" und das in einer Häufigkeit und Frequenz,
die nur von den Anfeuerungsrufen der Segeloffiziere übertroffen wurden.
Und dann war es soweit. Vielleicht war es die Tatsache,
daß wir die Schnellsten waren bei den Manöverübungen, vielleicht
auch bloßer Zufall oder Nötigkeit, die BbII, die LöwenWache,
fuhr das erste eigenständige Manöver.
"Zur Halse" hallte in der frühen Abendämmerung
über das Deck, wir sprangen auf und liefen ohne einen Gedanken oder
eine Sekunde zu verschwenden an unsere Stationen. Im Laufen noch erging
ich mich in Trauer um die halbverschwendete Zigarette, als mich jemand
darauf hinwies, daß das übliche "Zur Übung" gefehlt habe.
Sofort war jeglicher Hader vergessen, ich lehnte mich in die Brass, die
noch belegt war. Endlich folgte der Befehl, am Großtop vierkant zu
brassen, wir rissen um unser Leben, angefeuert vom Stolz und den Schreien
des Vorhandsmannes.
Ohne Verzug stürmten wir ans Vortop und erwarteten
das "Rund vorn", das nur kurze Zeit später ertönte. Wieder warfen
wir unsere ganze Kraft, unser ganzes Gewicht und allen Enthusiasmus ins
Tau.
Wie der Wind eilten wir danach wieder aufs Hauptdeck
um auch dem "Rund achtern" folge zu leisten.
Danach kam nur noch die Feinarbeit des Trimmens der
Rahen und nach wenigen Minuten, wenn auch mehr als am Schluß der
Reise und viel zu vielen nach Aussage der Maaten, hatte die Fock unter
unseren Händen den Bug gewechselt.
In dieser Wache folgten nur noch wenige Übungen,
der Mittelwächter und die schöne Tradition des Acht/Zwölfer-Bieres
erschienen mir nie wieder so sehr als Belohnung wie in dieser Nacht, wenn
auch bis zum Ärmelkanal und später noch viele solche Manöver
gefahren wurden.
Jan Janssen
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