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EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Erfüllung eines Traumes:

Segeltörn auf einem Traditionssegler

von Wolfgang Perkhammer



Schon viele Jahre schwärme ich davon, einmal auf einem Windjammer am Rad zu stehen, das müßte ein Erlebnis sein. 2001 ist es soweit, ich habe bei der Reederei Meyer zur Heide eine Fahrt auf der Barkentine Mary Anne gebucht. Eine Bark wäre mir noch lieber ge-wesen, aber da ist keine mit einem vergleichbar angenehmen Umfeld, im Schiffspark ent-halten. Traditionssegler heißt, alle Segel sind von Hand zu setzen und zu bedienen, das laufende Gut, die Beschläge und Blöcke sind so, wie es früher üblich war.

Von meinen Törn-Segelfreunden will keiner mitmachen, im Gegenteil, sie belächeln mein Vorhaben. Ich denke mir aber: lass sie nur lächeln, nach 15 Törns in der Ägäis, auf Yachten zwischen 36 und 44 Fuß, kann ich ruhigen Gewissens mal auf einen Windjammer umsteigen.

Die Daten der Mary Anne:

Heimathafen: Kiel

Baujahr: 1995-1997

Takelungsart Barkentine (Fockmast vollgetakelt, also Rahsegel)

Groß- und Besanmast Gaffelsegel

Länge ü.a.: 65,81 m

Breite: 7,90 m

Tiefgang: 4,80 m

Verdrängung: 480 to

Stammcrew 12 Personen, davon 4 im Service

Gästekabinen: 20

Masthöhe (über der Wasserlinie) 34,50 m

Segelfläche: 920 qm

Anzahl der Segel: 15

Geschwindigkeit unter Segeln: 15 Knoten max.

Geschwindigkeit mit Motor 10 Knoten max.

Maschine: Oehlmann, 485 kW (612 PS)

Anfang Mai kam dann von der Reederei die Mitteilung, dass der Törn Nizza – Kiel abgesagt wird, da wegen Ausfall eines Schiffes die Mary Anne im Mittelmeer bleiben muß. Als Ersatz bietet man den Törn Nizza – Palma de Mallorca an. Bei dieser Variante wird der Kurs stets entsprechend dem Wind festgelegt. Der Anteil der Fahrt unter Segeln wird also größer sein, ich sage zu.

Am 3. 6. steht pünktlich um 18.00 Uhr eine kleine Gruppe im Handelshafen von Nizza und

wartet vergebens auf die Mary Anne. Was ist passiert: Der bestellte Liegeplatz in Nizza stand am 1. 6., als die Mary Anne einlaufen wollte, plötzlich nicht mehr zu Verfügung, der Mistral wehte fürchterlich, so dass man nach Cannes ausweichen mußte und dort auf Reede lag.
Aus Schusseligkeit hielt man es aber nicht für notwendig, jemanden in den Hafen von Nizza zu schicken, um dort wartende Gäste, am vereinbarten Treffpunkt, abzuholen. Ab 14.00 Uhr stand zwar jemand am Flughafen, was jedoch uns nichts nutzte, da wir schon vorher ange-kommen sind.
Einige der mit mir wartenden haben Handys dabei mit Prepaid-Card und bekamen prompt kein Netz. So war meines das einzige, was funktionierte Diverse Telefonate folgen, dann stimmt der Kapitän zu, dass er einen Kleinbus organisiert und uns abholen lässt. Wir speisen erst mal und warten im Lokal auf den Bus, der dann gegen 23.00 Uhr eintraf. Um 00.30 Uhr wechselten wir in ein Dingi, gegen 01.00 Uhr bin ich, nach einer spritzigen Überfahrt, endlich in meiner Kabine.

4. Juni

Nun kommt das nächste Problem. Wegen des Mistrals war es der Besatzung am Samstag nicht möglich, neuen Proviant zu bunkern und in Frankreich ist am Pfingstmontag auch noch Feiertag. Der Koch kratzt seine letzten Reste für uns zusammen. Der Steuermann macht mit uns die Sicherheitseinweisung und wir Passagiere erkunden danach das Boot.
Um uns bei Laune zu halten, startet der Kapitän am Abend zu einer Nachtfahrt. Leider lässt nun der Wind arg nach und wir kommen nur ca. 10 sm und fahren dann wieder zurück nach Cannes, um dort wieder auf Reede zu liegen.

5. Juni

Endlich kann der Koch, ein baumlanger Bayer aus Burghausen, einkaufen gehen. Fünf volle Dingi-Ladungen werden zum Schiff gebracht. Viele packen mit an, so dass wir mit einer langen Menschenkette alles rasch an Bord bringen.
Um 15.00 Uhr dann endlich das Kommando "Anker auf" ab geht es Richtung Westen. Leider hält der Wind nicht lange, so dass wir bei St. Raphael wieder ankern.

6. Juni

In einer längeren Diskussion haben wir Gäste dem Kapitän klar gemacht, dass wir in erster Linie viel segeln wollen. Die Mehrzahl ist auch bereit, die Mannschaft mit Wache gehen zu unter-stützen. Ich melde mich für die Wachen:
08.00 bis 12.00 Uhr, danach 00.00 bis 04.00 Uhr und dann 16.00 bis 20.00 Uhr.
Um 08.00 Uhr heißt es wieder Anker auf, mit dem Ziel Korsika. Bei 5 Bft. machen wir gute Fahrt.
Der Kapitän führt uns Gäste in der Crewliste zwar als Trainees, damit werden wir als Schulschiff eingestuft und das senkt die Liegeplatz-Gebühren, aber in die Rahen aufentern läßt er uns nicht.
Meine erste Wache beginnt um 16.00 Uhr und ich habe gleich Gelegenheit, die Besonderheiten beim Ruder gehen zu lernen. Das Boot reagiert wie ein nasser Schwamm. Nach dem Ruder legen passiert erst mal garnichts, dann schwenkt das Schiff langsam auf den neuen Kurs zu. Nun muß man aber gleich wieder das Rad zurückdrehen, denn sonst schwenkt der Kahn viel zu weit. Nach einigen Manövern weiß man es dann, wann was zu tun ist.
Je langsamer die Fahrt ist, um so schwieriger wird es, ohne ständig zu kurbeln, das Boot auf Kurs zu halten oder auf einen neuen Kurs zu bringen. Sehr hilfreich ist dabei die Anzeige der Ruderlage, denn mehr als 15 Grad soll man nicht geben, da sonst die Bremswirkung zu groß wird.

7. Juni

Die Wache von 08.00 bis 12.00 entfällt, den kurz vorher fällt der Anker in der weiten Bucht von St. Florent, an der Nordspitze von Korsika.
Wir lassen uns alle ausbooten und bummeln durch den Ort, viel gibt es aber nicht zu sehen. Nach dem Abendessen geht es weiter, an der Westküste von Korsika entlang.

8. Juni

Wache 00.00 bis 04.00 Uhr.
Leider läßt der Wind nach und wir müssen alle Segel bergen.
Wache 16.00 bis 20.00 Uhr
Pünktlich zum Wachbeginn kommt wieder Wind und wir setzen Außen- und Innenklüver, das Vor-Stagsegel, die Groß-Stagfocks 1 und 2 und das Grosssegel. Da ist man einige Zeit beschäftigt, bis die Lappen alle oben sind.
Zum Wachende wird wieder alles geborgen und wir fahren mit Motor in die fjordartige Bucht von St. Bonifatius, an der Südspitze von Korsika. So gegen 21.00 Uhr liegen wir fest im Hafen, machen dann noch einen Bummel durch den Ort und genehmigen und ein Schopperl.

9. Juni

Wache 08.00 bis 12.00 Uhr
Der neue Kurs nach Menorca wird festgelegt, wir haben tollen achterlichen Wind, endlich kann man mal Vollzeug setzen, so macht die Segelei auf einem grossen Schiff Spaß.
In der Nacht steigerte sich der Wind auf 6 Bft., die Wache von 20.00 bis 24.00 Uhr hat, nachdem die Geschwindigkeit auf bis zu 8 Knoten stieg, das Royalsegel, die Groß-Stagfock 3 und die Breitfock eingeholt.

10. Juni

Wache 00.00 bis 04.00 Uhr
Während unserer Wache nahm leider der Wind ständig ab, es wurde sehr dunstig, aber Gott sei Dank war ja Radar an Bord. Den ganzen Tag nur Schleichfahrt bei 1 kurzzeitig maximal 2 Bft.
Wache 16.00 bis 20.00 Uhr
Am Abend hören wir über Funk eine Sturmwarnung für den Golf de Lion, wir sind südlich davon, werden also einiges abbekommen.
Bis zum Abendessen nahm der Wind schon stetig zu, die Schräglage stieg auf bis zu 28°. Ganz klar, die Suppe musste entfallen, selbst bei der Soße war es schon schwierig, sie auf dem Teller zu behalten. Der Außenklüver und einige der Rahsegel wurden gesetzt, die Geschwindigkeit stieg auf bis zu 10 Knoten.
Schwierig wurde es bei dieser Schräglage in den Kojen, kaum einer hat längere Zeit richtig geschlafen. Man verkeilt sich irgendwie, kaum hat man ein Liegeposition gefunden, schon wird man von einer hohen Welle umhergeworfen und das Spiel beginnt erneut.

11. Juni

Wache 08.00 bis 12.00 Uhr
Der Wind nahm wieder ab, wir erreichen Menorca und Ankern in der Bucht von Mahon.
Am Mittag fuhr an uns die Royal Klipper, der Welt größtes Segelschiff, vorbei. Ein imposanter Anblick.

12. Juni

Meine Hundewache entfällt, wir liegen noch vor Anker.
Am Morgen laufen wir aus und dümpeln bei leichtem Wind in Richtung Mallorca. Der Kapitän gibt uns eine kurze Einweisung in die Positionsbestimmung mit einem Sextanten, jeder der will darf mal üben. Bei meiner Wache von 16.00 bis 20.00 Uhr wurden die Rahsegel geborgen und danach eine Wende gefahren. Vom Kommando klar zur Wende bis zur Klarmeldung vergehen rund 10 Minuiten, dann erst ist bei den Segeln alles vorbereitet. Nach dem Über-Stag-Gehen dauert es nochmals 10 Minuten bis alle Segel wird getrimmt sind. Mit Motorunterstützung wurde die Südspitze von Malllorca umrundet.

13. Juni

Wache 08.00 bis 12.00 Uhr
Wir steuern die Bucht Cala Figuera im Süden von Mallorca an für einen Badestop. Mittags nahm der Wind langsam zu und plötzlich slipte der Anker. Nun kommt Hektik auf, denn hinter uns in nur 7m Abstand sind Felsen. Am späten Nachmittag geht es weiter Richtung Palma.

14. Juni

Wache 00.00 bis 04.00 Uhr
Angenehmer Wind treibt uns voran und der Bootsmann kann es garnicht fassen, dass ich genau auf dem vorgesehenen Kurs, ohne auch nur ein Grad abzuweichen, steuern kann.
Gegen 15.00 Uhr liegen wir dann fest in Palma, neben der Lili Marleen. Zum Törnabschluß gibt es am Abend das Captains Dinner. Nach uns kommt noch die Atlantis, ebenfalls von der Reederei Meyer zur Heide, in den Hafen und dort ist eine zünftige Party im Gange, zu der wir eingeladen werden.
Ein interessanter Törn ist zu Ende. Ich habe, was ich schon immer wissen wollte, kennen-gelernt: wie es sich auf einem Traditionssegler segelt. Ich bin froh, dass ich mich dazu entschlossen habe und empfehle jedem Törnsegler auf Fahrtenjachten diesen Schritt auch mal zu tun.

Wolfi Perkhammer



Bild 1 Barketine Mary Anne unter 14 von 15 Segeln




Bild 2 Barketine Mary Anne vor Anker in der Bucht von St. Florent (Korsika)



Bild 3 die Segel der Mary Anne

A1 Aussenklüver C12 Grosssegel

A2 Innenklüver D14 Gross-Topsegel

A3 Vor-Stagfock C13 Besan

A4 Groß-Stagfock 3 D15 Besan-Topsegel

A5 Groß-Stagfock 2

A6 Groß-Stagfock 1

B7 Vor-Oberbramsegel

oder Royalsegel

B8 Vor-Bramsegel

B9 Vor-Obermarssegel

B10 Vor-Untermarssegel

B11 Vor-Breitfock

Bild 4 Die Segel am Gross- und


Bild 5 Die Segel am Gross- und

Fockmast Besanmast


Bild 6 Die Nagelbank am Fockmast

 

Bild 7 Die Nagelbank am Fockmast

Bild 8 Die Nagelbank am Grossmast

Bild 9 die Route