EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Kampf der Reisekrankheit

aus GEO 06/92 (S. 162), Dank an das GEO-Magazin!



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Wenn den Versuchspersonen am Hershey Medical Center in Pennsylvania schwindelig und schlecht wird, dann ist das ganz im Sinne des Experimentators Kenneth L. Koch. Denn mit der künstlich bei seinen Probanden erzeugten Übelkeit hofft der Mediziner nicht nur besser zu verstehen, wie See- und Reisekrankheit entstehen, sondern auch Mittel zu finden, wie sie zu verhindern sind.

Für den Test nimmt der Teilnehmer zunächst auf einem Stuhl Platz. Dann wird eine riesige Trommel um ihn herum in Bewegung gesetzt, auf deren Innenseite sich vertikal angeordnete schwarze und weiße Balken abwechseln. Unwillkürlich fixiert der Proband die Balken, und nach kurzer Zeit kommt es ihm so vor, als drehe sich nicht die Trommel , sondern er sich selbst.

Da es dem Gleichgewichtssinn andererseits nicht entgeht, daß der Teilnehmer in Wirklichkeit ruhig auf dem Stuhl sitzt, treffen im Gehirn einander widersprechende Informationen ein. Innerhalb von 15 Minuten läßt sich so imitieren, was einigen Menschen nach einer mehrstündigen Autofahrt in brütender Hitze oder während einer Bootsfahrt bei stürmischer See widerfährt: Kopfschmerzen, Schwindel, Pulsanstieg und jenes drückende Gefühl in der Magengegend, das den "Rückwärtsgang" aus dem Magen ankündigt, im Medizinerjargon die "Reverse Peristaltik".

Bei den für Seekrankheit anfälligen Personen stieg kurz nach Beginn des Experiments - und noch bevor die Übelkeit einsetzte - der Gehalt der Streßhormone Adrenalin und Noradrenalin im Blut an, und nach einigen weiteren Minuten schnellte der Spiegel von Vasopressin, einem Hormon der Hirnanhangsdrüse, in extreme Höhen. Gleichzeitig nahm die Zahl der elektrischen Wellen, die von oben nach unten über den Magen wandern, von normalerweise drei auf neun zu.

Bei den Probanden, die von der Versuchsanordnung unbeeindruckt blieben, fanden die Mediziner hingegen keine physiologischen Reaktionen. Womöglich könnten - so Koch - Medikamente, die in diesen Hormonkreislauf eingreifen, den Ausbruch der Reisekrankheit verhindern - etwa Substanzen, die Vasopressin zeitweilig blockieren.

Chinesische Ärzte wenden seit Jahrhunderten die Akupunktur bei der Reisekrankheit an. Schließlich sind Chinesen besonders anfällig für das Phänomen. Sengi Hu, ein Psychologe des Humboldt State College in Arcat (Kalifornien) , fand in Zusammenarbeit mit Koch heraus, daß Asiaten in der Drehtrommel praktisch immer übel wird, während es nur 50 bis 60 Prozent der Weißen und Schwarzen trifft. Wahrscheinlich haben diese Unterschiede eine genetische Ursache. Hu vermutet eine besondere Sensitivität des Neurotransmitter-Systems, also der chemischen Botenstoffe, im Gehirn von Asiaten.

Der Neiguan-Punkt   Großbild klick! Was die Chinesen mit Nadeln bewerkstelligen, haben die amerikanischen Wissenschaftler mit einem Elektroakupunktur-Gerät imitiert. Das auf der Innenseite des Unterarms angebrachte Gerät stimuliert den sogenannten Neiguan-Punkt mit einem schwachen kontinuierlichen elektrischen Strom. Der Neiguan-Punkt projiziere auf die obere Körperebene in den Herz-Lungen-Bereich, erläutert der Münchener Internist und Akupunktur-Fachmann Carl-Hermann Hempen. Die Stimulation wirke dämpfend und sei der Lage, Spasmen zu Iösen. Mit der Elektroakupunktur konnten die amerikanischen Mediziner die Häufigkeit und die Stärke der Übelkeit bei dem Trommelversuch deutlich senken.

Ob das Gerät sich in der Praxis bewährt, ist allerdings noch ungewiß. Doch der Neiguan-Punkt läßt sich auch durch Akupressur - also per Massage - stimulieren: Wenn man die Hand in Richtung Ellenbeuge anspannt, werden zwei Sehnen sichtbar, zwischen denen sich der Punkt zwei Daumen breit oberhalb der Handgelenksquerfalte befindet. Hier sollte der Reisende mit dem Daumen der anderen Hand mehrere Minuten massieren. Wenn das nicht hilft, sind durchaus herkömmliche Methoden angebracht: eine kleine, fettarme und stärkereiche Mahlzeit vor Reisebeginn, aus dem Fenster des Fahrzeuges auf die Landschaft oder den Horizont schauen, den Körper - vor allem den Kopf - möglichst wenig bewegen, sich gedanklich ablenken und keine Angst aufkommen lassen - denn die peitscht gerade jene Hormone in die Höhe, die den Magen in Aufruhr bringen.



Weblinks:
Seekrankheit in Wikipedia
Akupunktur in Wikipedia
Akupressur in Wikipedia



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