EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Gorch Fock:
Reisebilder im Streiflicht Teil 4
In See: Durch die Deutsche Bucht





"Herr Steuermann, ach Steuermann,
Mein Herz ist gar so schwer.
So bind ein gut Stück Eisen dran
Und wirf es über Bord ins Meer"
[Joachim Ringelnatz, Kuttel-Daddeldu: Matrosensang.
(Zitiert in Erinnerung an SiPo an der MSM und GLIEB)

In See: Durch die Deutsche Bucht

Bald ließen wir das Kattegatt hinter uns, majestätischer als ich es mir jemals ausgemalt hatte.

Retrospektiv scheint mir der Vergleich zwischen der Windjammer, der mein Herz gehört, wie ihr damals mein Körper gehörte, und einem monarchischem Herrscher um so treffender, als sich sein Glanz auf dem Schweiß der Mannschaften begründet, seine Glorie auf dem Geschick der Offiziere.
Eine Routine, die wir nie für möglich gehalten hätten, stellte sich schon nach wenigen Tagen ein.
Wie das Staatsschiff in der politischen Briese mußte auch der Kurs der Fock jeder Laune des Windes tribut zollen, mit ihr wir. Unsere Hände, die wir zum Auslaufen für gestählt gehalten hatten, wurden an den vom einsetzenden Regen feuchten Brassen wundgescheuert, unsere Köpfe wurden schwer von Müdigkeit.
Von Zeit zu Zeit schien es mir, als wollten mich die fröhlich plätschernden Wogen, die der Bug der Fock durchschnitt, verhöhnen.
In diesen ersten Tagen unserer Seefahrt auf dem Großsegler war mir die Diskrepanz zwischen meinem gewählten und dem geraden Weg wohl am deutlichsten. Wie vielen anderen schwebte es mir damals, wie heute noch, vor, mein Leben in Ruhe und Fülle an Wissen und Muße zu verbringen. Jetzt stand ich auf Zuruf am Tau und riß daran, bis meine Hände brannten und meine Arme zu versagen drohten, ohne mir über die Funktionsweise der angewandten Mechanik Gedanken zu machen. Nicht, daß diese mechanischen Prizipien, wie auch ein Gutteil des grundlegenden seemännischen Wissens, an uns vorbeigegangen wären. Jede Minute unseres Dienstes, die nicht mit Segelwache oder Reinschiff erfüllt war, verbrachten wir in Unterrichten über Schiffspflege, -Mechanik, -Führung, mit Wetterkunde und Knotenlehre.
Nicht selten geschah es in diesen Unterrichten, daß die Müdigkeit dann größer wurde, als die Kraft, die Augen offen zu halten. Ich habe nie erlebt, daß sämtliche Eleven der Seefahrerkunst im Unterricht einschliefen. Ich war aber auch meistens einer der ersten.
Unterbrochen wurden die Stunden nur für Segelmanöver, bei denen alle Mann erforderlich waren, weshalb man hoffte, daß sämtliche nötigen, sowie jenen, die zusätzlich stattfanden, in der eigenen Wache abgehalten wurden.
Segelwache bedeutete, am Anfang noch mehr als zum Ende hin, rund vier Stunden höchster körperlicher Belastung in unregelmäßigen Intervallen.
Es war der Segelwache nicht erlaubt, das Oberdeck zu verlassen, zu essen, zu schlafen, zu lesen.
Das ließ eigentlich nur zwei Alternativen: die Unterhaltung und das Rauchen, und natürlich eine Kombination aus beidem.
Für Nichtraucher, wie ich anfänglich einer war, zeigte sich die Auswahl noch eingeschränkter, ich erweiterte meine Optionsliste aber bald, was angesichts steuerfreier Zigaretten nicht schwer fiel.
Scon bald fanden sich angesichts dieser Prämissen kleine Runden zusammen, die Interessen teilten, über die sich zu unterhalten nicht langweilig erschien. Zwar erschöpften sich die meisten Themen schon nach knapp einer Woche, sie wurden einfach zerredet, die Gruppen blieben aber die gleichen, eine angenehme Atmosphäre entspann sich, hatte man es doch in keinem Gespräch eilig und konnte Stunden investieren, mit Menschen zu sprechen, die man in seiner alltäglichen Arroganz für zu unwichtig hielt unt Themen diskutieren, die man sonst als Zeitverschwendung angesehen hätte.
Diese Phasen geistiger Wanderschaft wurden allzu häufig unterbrochen.
Heute, schon damals, ware mir die rationale Seite dieser Unterbrechungen bewußt und verständlich, ich verteidigte sie sogar. Doch wer, der selbst die Situaton kennt, wird mir vorwerfen, daß ich zu jener Zeit auf der Segelwache fluchte, als Manöver zur Übung gefahren wurden, sei es "Mann über Bord""Erster Kutter klar" oder "Obersegel bergen" und das in einer Häufigkeit und Frequenz, die nur von den Anfeuerungsrufen der Segeloffiziere übertroffen wurden.
Und dann war es soweit. Vielleicht war es die Tatsache, daß wir die Schnellsten waren bei den Manöverübungen, vielleicht auch bloßer Zufall oder Nötigkeit, die BbII, die LöwenWache, fuhr das erste eigenständige Manöver.
"Zur Halse" hallte in der frühen Abendämmerung über das Deck, wir sprangen auf und liefen ohne einen Gedanken oder eine Sekunde zu verschwenden an unsere Stationen. Im Laufen noch erging ich mich in Trauer um die halbverschwendete Zigarette, als mich jemand darauf hinwies, daß das übliche "Zur Übung" gefehlt habe. Sofort war jeglicher Hader vergessen, ich lehnte mich in die Brass, die noch belegt war. Endlich folgte der Befehl, am Großtop vierkant zu brassen, wir rissen um unser Leben, angefeuert vom Stolz und den Schreien des Vorhandsmannes.
Ohne Verzug stürmten wir ans Vortop und erwarteten das "Rund vorn", das nur kurze Zeit später ertönte. Wieder warfen wir unsere ganze Kraft, unser ganzes Gewicht und allen Enthusiasmus ins Tau.
Wie der Wind eilten wir danach wieder aufs Hauptdeck um auch dem "Rund achtern" folge zu leisten.
Danach kam nur noch die Feinarbeit des Trimmens der Rahen und nach wenigen Minuten, wenn auch mehr als am Schluß der Reise und viel zu vielen nach Aussage der Maaten, hatte die Fock unter unseren Händen den Bug gewechselt.
In dieser Wache folgten nur noch wenige Übungen, der Mittelwächter und die schöne Tradition des Acht/Zwölfer-Bieres erschienen mir nie wieder so sehr als Belohnung wie in dieser Nacht, wenn auch bis zum Ärmelkanal und später noch viele solche Manöver gefahren wurden.
  Jan Janssen


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